Exposé zur Tagung
Frühneuzeitliche Institutionen in ihrem sozialen
Kontext
Praktiken lokaler Justiz, Politik und Verwaltung im internationalen Vergleich
Internationale Konferenz vom 15. bis 17. April 2004 an der
Universität Kassel,
Senatssitzungsraum, Mönchebergstr. 3
Die Frühneuzeit gilt als eine Epoche der institutionellen Innovationen. Seither bedürfen Recht und Verwaltung, wollen sie Legitimität und Geltung beanspruchen, schriftlicher Formen. Mit den Schlagworten 'Staatsbildung', und 'Verrechtlichung' hat man die miteinander verflochtenen Prozesse der Ausdifferenzierung von Behörden und administrativen Verfahren sowie der Weiterentwicklung von rechtlichen Normen auf den Begriff bringen wollen. Entsprechend stehen seit langem Behörden und Gerichte im Mittelpunkt von Untersuchungen zur Entwicklung frühmoderner Herrschaftsformen. Zumeist geht es dabei um die Genese, den Aufbau und die Funktionsweise dieser Organisationen und um die sich wandelnden Regeln, auf denen sie beruhten. Häufig thematisieren die Studien auch die Personen, die in den Behörden und Gerichten tätig waren, beschränken sich dabei jedoch entweder auf den dort herrschenden Geist, dessen Wandel als Motor institutioneller Veränderungen gedeutet wird, oder konzentrieren sich auf die Geschichte des Personals als einer sozial und politisch bedeutsamen Elite.
Die Reichweite dieser Erklärungsansätze wird in der Forschung seit längerem kritisch beurteilt. So wichtig der organisatorische Aufbau von Behörden und Gerichten und die in ihnen geltenden Regeln sind, so verdienstvoll auch die prosopographische Identifikation der maßgeblichen Amtsträger ist, so deutlich ist auch, dass solche verwaltungs-, rechts- und sozialgeschichtlichen Herangehensweisen das Handeln der Amtsträger und die Wirkungsweise von Institutionen nicht vollständig erschließen. Die Funktionsweise frühneuzeitlicher Politik, Rechtsprechung und Verwaltung - auch das 'Wachstum der Staatsgewalt' - beruhte nicht allein auf dem Zusammenwirken von Personen, die in institutionalisierten Beziehungen zueinander standen, sondern wesentlich auch auf Bindungen, die durch persönliche Loyalitäten geprägt waren. Erst wenn die Interaktionen von Akteuren innerhalb der Institutionen sowie zwischen ihnen und Aussenstehenden zum Gegenstand der Untersuchung gemacht werden, erhalten wir einen angemessenen Zugang zur zeitspezifischen Funktionsweise und gesellschaftlichen Bedeutung von politischen Gremien, Gerichten und Behörden. Diese akteurszentrierte Perspektive hat zudem den Vorteil, dass sie die Möglichkeit eines Vergleichs zwischen Regionen mit unterschiedlichen politischen Entwicklungswegen eröffnet.
Die Historiographie zur Frühen Neuzeit hat in den letzten Jahren in Abkehr vom Absolutismus-Paradigma die Durchsetzungsschwäche des frühneuzeitlichen Fürstenstaates betont. Diese Perspektive ist geeignet, der ehedem betonten Differenz zwischen stände- und fürstenstaatlich verfassten Regionen Europas etwas von ihrer Schärfe zu nehmen. Angesichts ihrer personellen Schwäche - vor allem auf lokaler Ebene - stellte sich frühmodernen Herrschaften ganz allgemein die Frage, wie sie dafür sorgten, dass ihren Anordnungen Folge geleistet wurde. Die Organisatoren der Konferenz gehen davon aus, dass sich gerade die lokalen Amtsträger frühneuzeitlicher Herrschaften veranlasst sahen, eine Vielfalt informeller Beziehungen aufzubauen und zu pflegen, um ihre Amtsstellung im Sprengel abzusichern und ihren Anweisungen den nötigen Nachdruck zu verleihen. Von strategischer Bedeutung waren dabei ihre Beziehungen zu den kommunalen Autoritäten, das heißt zu den städtischen Magistraten und den Dorfvorstehern, die von den herrschaftlichen Amtsträgern in vielen Hinsichten abhingen, ohne deren Kooperation jedoch auch "kein Staat zu machen war". Erst die Analyse dieses mikropolitischen Verhältnisses ermöglicht es - so die dem Projekt und der Tagung zugrunde liegende Idee - die spezifische Funktionsweise des frühmodernen politischen Systems zu erfassen. Wir schlagen vor, den für solche Zusammenhänge in den letzten Jahren zunehmend verwendeten Begriff "Herrschaftsvermittlung" künftig systematisch zu nutzen.
Dem herrschaftsvermittelnden Handeln in Institutionen soll auf lokaler und regionaler Ebene nachgespürt werden, was die Untersuchung möglichst vielfältiger Zusammenhänge impliziert, in die örtliche Akteure eingebunden waren. Diese Beziehungen konnten sich - je nach Kontext - auf den jeweiligen Ort beschränken, häufig reichten sie jedoch weit darüber hinaus. Wir gehen davon aus, dass sich wesentliche Bestandteile der politischen Kultur des frühneuzeitlichen Europa erschliessen lassen, wenn geklärt wird, in welcher Weise personale Verbindungen und formalisierte Wege bei der Herbeiführung und Durchsetzung von Entscheidungen zusammenspielten, gegeneinander wirkten und sich wechselseitig durchdrangen. Das bedeutet zugleich, dass die Stadträte, Gerichte und Verwaltungen als Organisationen nicht aus dem Blick geraten dürfen. Die ihnen inhärente Entwicklungsdynamik, insbesondere die zumindest partiell autonome Geltung des Rechts und die hiervon ausgehenden Impulse, müssen als wesentliche Faktoren der Entwicklung im Europa der frühen Neuzeit bedacht werden.
Um auch informelle Beziehungen zwischen Akteuren zu erschliessen, haben die empirischen Sozialwissenschaften in den vergangenen dreissig Jahren mit der Verflechtungs- und Netzwerkanalyse eng miteinander zusammenhängende Methoden entwickelt. Von Wolfgang Reinhard stammt ein Vorschlag, wie Historiker die Methode der Verflechtungsanalyse für ihre Zwecke nutzbar machen können. Zur Erforschung frühneuzeitlicher Eliten schlägt er vor, diejenigen Beziehungen zu untersuchen, die auf Verwandtschaft, Landsmannschaft, Freundschaft und Patronage beruhten. Dabei ist die Funktionsweise von frühneuzeitlicher Politik vor allem im südlichen und westlichen Europa mit dem Phänomen 'Klientelismus' in Zusammenhang gebracht worden. Seit den achtziger Jahren sind auch einige empirische Studien in deutscher Sprache erschienen, die mit dem Modell 'Klientelismus' arbeiten. Gleichwohl stehen diese Arbeiten ein wenig isoliert in der historiographischen Landschaft, wie denn überhaupt von 'Netzwerken' allenthalben die Rede ist, ohne dass sie systematisch untersucht würden. Für die Habsburger Monarchie und das Alte Reich ist weitgehend ungeklärt, wie die Personennetzwerke beschaffen waren, welche Bedeutung sie in Entscheidungsprozessen erlangten, in welche Bereiche des politischen, administrativen und justiziellen Handelns sie hineinwirkten und in welche nicht. Weiterhin besteht ein großer Kontrast zwischen den zahlreichen Studien zur Rolle von Familie und Patronage für Politik, Recht und Verwaltung im mediterranen Raum und in Westeuropa und der vergleichsweise bescheidenen Forschungslage für das mittlere und südöstliche Europa. Die Konferenz soll die Ergebnisse der einschlägigen Forschung zusammentragen, sie mit Resultaten aus Skandinavien, West- und Südeuropa vergleichend diskutieren und weiterführende Fragen formulieren.
Neuere Arbeiten zur Praxis frühmoderner 'Policey' im Alten Reich legen den Gedanken nahe, dass sowohl die Normgebung als auch die flexible Handhabung von Normen auf intensiven Kommunikationsprozessen zwischen den verschiedenen Obrigkeiten und den Untertanen in Stadt und Land basierten. Dabei ist deutlich geworden, dass sich die miteinander kommunizierenden Parteien eines gemeinsamen Vokabulars bedienten, das um zeitspezifische Zentralbegriffe gruppiert werden kann. Gemeinsam ist diesen Begriffen, dass sie zwar einen ethischen Referenzrahmen für das Handeln aller Beteiligten abstecken, dass sie jedoch zu unbestimmt sind, um die Erfolgsaussichten von konkreten Vorhaben einzelner Personen oder Gruppen abschätzen zu können. Eine weitere Intention der Tagung besteht darin, für einzelne europäische Regionen die legitimen Sprachen der Interessenartikulation und den Wandel dieser Semantiken im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts ansatzweise zu rekonstruieren.
Die Tagung befasst sich mit dem Handeln und den Beziehungen von Amtsträgern, die Funktionen innerhalb der lokalen Rechtsprechung und Verwaltung ausgeübt haben. Sie soll dazu beitragen, dass ein etwas vollständigeres Bild der Loyalitäten und Antagonismen entsteht, die den Handlungsfeldern in den politischen, administrativen und justiziellen Arenen ihre spezifische Färbung verliehen. Die Identifizierung von Ensembles sprachlicher Formen soll es ermöglichen, diese Handlungsfelder auf einer erweiterten Grundlage zueinander in Beziehung zu setzen. Deren Zusammenspiel, Interferenzen und Reibungen sollten besser erkennbar werden und man sollte deutlicher sehen, wie Entscheidungen zustande kamen, was ihre Durchsetzung begünstigte und wo die Konfliktpotentiale lagen. Die Veranstalter der Konferenz hoffen, dass wir aufgrund des internationalen Vergleichs die europäischen Gemeinsamkeiten und die Spezifika benennen und so die verschiedenen konfessionellen, regionalen oder nationalen politischen Kulturen besser charakterisieren können. Ein wichtiges Ziel der Konferenz besteht jedoch auch darin, einen unmittelbaren Austausch zwischen Historikerinnen und Historikern aus mehreren europäischen Ländern zu ermöglichen, die in ihrem Forschungsalltag bislang nicht zusammenarbeiten. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass über die Tagung hinaus dauerhafte Formen der Kooperation entstehen mögen.
Im Verlauf der Konferenz sollen folgende vier Themenbereiche behandelt werden:
1. Strategien und Verfahren der Rekrutierung lokaler Herrschaftsvermittler
Um der Thematik die notwendige Fundierung zu geben, sollen als Auftakt einige klassische Themen der Bürokratiegeschichte aufgegriffen werden. An Beispielen aus dem Mittelmeerraum, aus Skandinavien und den Untersuchungsregionen des Projekts in Böhmen, Ungarn und im Alten Reich wird das Spektrum der zeitüblichen Rekrutierungsweisen von lokalen Amtsträgern aufgeschlüsselt. In der frühen Neuzeit standen die nominellen Inhaber der Souveränität vor der Alternative, bei der Wahl der lokalen Vermittler ihrer Herrschaft auf autochthone Eliten aus dem jeweiligen Sprengel oder auf Auswärtige zu setzen. Es ist zu fragen, ob sich Amtsträger vom Typus eines von der Zentrale entsandten Commissarius wirklich eher als Wahrer einer "unparteiischen" Justiz und Verwaltung erwiesen als einheimische Würdenträger.
Grundsätzlich bestand die Möglichkeit, die Bestallung eines Amtsträgers an formale Qualifikationen (Schulbildung, Studium, Fachschulung, Laufbahn) zu knüpfen oder aber auf Erfahrungswissen (objektivierbar im Durchlaufen eines obligatorischen cursus honorum) zu bauen. In den frühneuzeitlichen Bürokratien finden sich Beispiele für beide Strategien und für Kombinationen, die akademisch geschultes Personal und ‚Praktiker' in unterschiedlichen Formen zusammenbanden. Zentralgewalten konnten ihre lokalen Amtsträger aus dem eigenen Etat besolden (dies war der unwahrscheinlichste Fall), sie konnten ihn mit den Erträgen aus seiner Amtsführung (Sporteln, Akzidentalien) versehen oder auf die unbesoldete Tätigkeit von abkömmlichen Honoratioren setzen, die von Haus aus über einen ausreichenden Lebensunterhalt verfügten. Ausserdem bestand eine große Variationsbreite der Verfahrensformen bei der Rekrutierung von Amtsträgern, die von der Wahl durch ständische Gremien, über die Kooptation durch die betroffenen Körperschaften oder Behörden bis zu zentral gehandhabter oder von der Zentrale an nachgeordnete Behörden delegierter Anstellung reichte. Auch hier waren zahlreiche Mischformen üblich.
Die ältere Bürokratiegeschichte ging davon aus, dass sich Loyalität, Selbstverständnis und Amtsführung von Amtsträgern je nach ihrer Herkunft, ihren Ausbildungs- und Karrierewegen sowie ihren Alimentierungs- und Rekrutierungsformen unterscheiden. Dies gilt es im Lichte empirischer Forschung zum Rechtsprechungs- und Verwaltungsalltag erneut zu diskutieren. Insbesondere steht zu untersuchen, ob uns die 'klassische' Bürokratietheorie von Max Weber Maßstäbe an die Hand gibt, um Fragen nach der historischen Entwicklung (Richtung, Tempo, Durchdringungstiefe und -intensität) von Bürokratien zu beantworten. In jedem Falle liefert sie uns eine gut handhabbare Typologie, nach der wir regionale und sektorale Entwicklungen aufschlüsseln können. Man wird auch nicht fehlgehen, wenn man diese unterschiedlichen Entwicklungswege als das Resultat verschiedener historischer Traditionen und als einen Ausdruck von Machtbalancen und Interessenlagen deutet.
2. Seines Amtes walten: Lokale Justiz und Verwaltung als Bedingung der Akzeptanz von Herrschaft?
Es ist ein herrschaftssoziologscher Allgemeinplatz, dass Herrschaft auf die Kooperation zumindest von Teilen der Administrierten angewiesen ist. Dies galt selbstverständlich auch für die lokalen Vermittler von Herrschaft in der frühen Neuzeit. Im Rahmen dieses Themenschwerpunktes soll es um die Klärung der Frage gehen, wie es den Amtsträgern gelingen konnte, den Willen zur Zusammenarbeit zu stärken bzw. welche ihrer Verhaltensweisen und welche von ihnen nicht beeinflußbare Faktoren einer solchen Akzeptanz entgegen wirkten. Bewusst wurde der Begriff 'Akzeptanz' und nicht 'Konsens' gewählt, denn es ging bei der Vermittlung von Herrschaft nicht um die Herstellung von Einmütigkeit zwischen Obrigkeit und Untertanen, sondern um die Bereitschaft zur Kooperation - sei es aufgrund taktischer Überlegungen der Betroffenen, sei es aufgrund prinzipieller Anerkennung der Legitimität der Herrschaftsausübung. Wir gehen im Übrigen davon aus, dass auch ein im Grundsatz vorhandener Legitimitätsglaube eine punktuelle Weigerung zur Kooperation nicht ausschließt.
Es soll danach gefragt werden, in welchem Maße die ' ‚Service-Leistungen' von lokalen Herrschaftsvermittlern - insbesondere in der Gerichtsbarkeit - zu einer solchen grundsätzlichen Akzeptanz beigetragen haben. Hierzu soll der Blick auf die verschiedenen Sparten herrschaftlicher Tätigkeit gerichtet werden. Die Strafjustiz, die Ordnungsgerichtbarkeit im Dienste der "guten Policey", die Ziviljustiz, die Erhebung von Steuern und Abgaben, die Aushebung von Soldaten oder die Beschaffung von Informationen für "Staatszwecke" werden auf unterschiedlich ausgeprägte Akzeptanz getroffen sein. Die Bündelung von verschiedenen Funktionen in der Hand eines lokalen Amtsträgers konnte somit eine Erfolg versprechende Strategie sein, um von der Akzeptanz eines besonders beliebten Aufgabenbereichs auch andere, weniger gut beleumundete Kompetenzen profitieren zu lassen. Diese Strategie konnte selbstverständlich auch den gegenteiligen Effekt haben und die Herrschaftsvermittlung wegen fehlender Akzeptanz - zumindest zeitweise - völlig zum Erliegen kommen lassen. Auch in dieser Sektion sollten Erfolg und Misserfolg von Herrschaftsvermittlung (im Sinne von mehr oder weniger gelungener Kommunizierung herrschaftlicher Zwecke und Mittel) daran gemessen werden, welchen ethnischen, religiösen und sozialen Hürden sie zu nehmen hatte. Umgekehrt ist zu fragen, wie die lokale Amtsträger ihrerseits in die Strategien von Klägern, Beklagten, Angeklagten, Zeugen, Rügern, Gutachtern und Antragstellern einbezogen wurden.
3. Lokale Amtsträger als Schaltstellen: Die Überbrückung räumlicher,
sozialer und kultureller Distanzen zwischen Obrigkeiten und Untertanen
Das Projekt geht davon aus, dass besonders interessante Ergebnisse zu erwarten sind, wenn man gezielt Schnittstellen untersucht zwischen verschiedenen Sphären, wo kommunale, regionale und überregionale Handlungsbereiche aneinandergrenzen und Akteure, die in verschiedenen Institutionen beheimatet sind, interagieren. An diesen Schnittstellen eröffnen sich Freiräume für Vermittler von Ressourcen und für Makler der Macht. Wer den Transfer von ökonomischem und sozialem Kapital über diese Grenzen hinweg organisiert, dem winken besonders hohe Profite, der ist allerdings auch besonders gefährdet durch neiderfüllte Konkurrenten.
Eine solche Schlüsselstellung innerhalb von politischen Feldern nahmen vielfach lokale Amtsträger ein. Angesichts verbreiteter Sprachunterschiede (nicht nur zwischen Ethnien, sondern auch innerhalb ein und desselben Volkes) und in Anbetracht der divergierenden Mentalitäten von Angehörigen urbaner oder höfischer Zentren einerseits und der Bewohner von kleinstädtischen oder dörflichen Peripherien andererseits, ist die kulturelle und soziale Mittler- und Übersetzerfunktion kaum zu überschätzen. Allerdings ist zu fragen, in welchem Maße die Kommunikation zwischen zentralen Obrigkeiten und den verschiedenen Gruppen von Untertanen auf diese Übersetzertätigkeit von lokalen Amtsträgern angewiesen waren. Es ist nämlich zu vermuten, dass sowohl die Zentralen als auch die Peripherien alternative Wege der Vermittlung oder des unmittelbaren Austausches suchten und fanden.
Dieser Themenschwerpunkt wurde vor allem gewählt, um die fundamentalen Unterschiede in den Blick nehmen zu können, die sich bei der Vermittlung von Herrschaft auftaten zwischen den vergleichsweise kleinen und einem hohen Homogenisierungsdruck ausgesetzten Reichsterritorien und den großen Nationalstaaten des Westens, in denen sich der Anspruch auf herrschaftliche Durchdringung konfrontiert sah mit großen regionalen Divergenzen, und schließlich mit dem multi-ethnischen Imperium der Habsburger, in dessen Rahmen ein Homogenisierungsanspruch von vornherein utopisch erscheinen musste - was Joseph II. bekanntlich nicht an dessen Formulierung und dem Versuch seiner Durchsetzung gehindert hat.
4. Amtsträger als Klienten und Patrone
Schließlich soll eine Thematik aufgenommen werden, die - wie oben bereits ausgeführt - bislang vor allem für das mediterrane Europa sowie für die höfische Sphäre fruchtbar gemacht worden ist. Der Mangel an Studien zum Klientelismus im Alten Reich und in der Habsburger Monarchie mag in der Sache selbst begründet sein, er mag jedoch auch zurückzuführen sein auf weit verbreitete nationale Stereotype.
Die letzte Sektion dieser Konferenz soll sich diesem Problem 'von außen' und 'von oben' nähern, indem die Ergebnisse einiger neuer Studien zur Patronage im Rahmen der schwedischen Diplomatie, der böhmischen Adelswelt und der Gesellschaft am Wiener Hof vorgestellt und daraufhin befragt werden, welche Anknüpfungspunkte sich für lokale Herrschaftsvermittler ergaben. Insbesondere sollte die Diskussion darauf gerichtet sein festzustellen, ob es in den jeweils untersuchten Regionen Hinweise gibt für eine Durchdringung der Gesellschaft mit den Kulturformen der Patronage bis in die kleinstädtische und dörfliche Lebenswelt hinein.
Der Terminus 'Kulturformen der Patronage' wurde bewusst gewählt. Im Zusammenhang mit dem Klientelismus ist nämlich weithin ungeklärt, wie dauerhaft die Beziehungen zwischen Patronen und ihren Klienten waren, ob sie rein instrumentellen Charakter hatten oder ethischen Prinzipien folgten. Auch fehlt es an Untersuchungen, die der Frage nachgehen, in welcher Weise Klientelbeziehungen sprachlich und symbolisch kodiert wurden. Erst wenn Patronage nicht länger ausschliesslich instrumentell gedeutet, sondern als kulturelle Form ernst genommen wird, wird man sie zu anders gearteten Formen institutioneller, verwandtschaftlicher, freundschaftlicher, nachbarschaftlicher, religiöser und politisch-weltanschaulicher Bindungen in Beziehung setzen können.