Erläuterungen zu den Institutionen, den Amtsträgern und den Grundbegriffen der Kommunikation in der südböhmischen Herrschaft Neuhaus/Jindrichův Hradec in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts

Im System lokaler Macht im Dominium der letzten Herren von Neuhaus, der Slawatas und der Tschernins benutzte man in der innerinstitutionellen Kommunikation folgende Begriffe:

panství (Herrschaft)

Hierbei handelte es sich um einen verwaltungsmäßig selbständigen territorialen Komplex, der einem bestimmten Herrn gehörte (kirchliche oder weltliche Obrigkeit). Er bestand aus dem Verwaltungszentrum (in unserem Fall das Neuhauser Schloss), aus mehreren Wirtschaftsbetrieben (Brauereien, Meierhöfe, Teiche…), einer oder mehreren Städten und ländlichen Siedlungen. An der Spitze einer Herrschaft stand der Hauptmann (siehe unten).

statek (Gut, Gutsbesitz, Rittergut)

Gutsbesitz einer Obrigkeit (also nicht im Besitz von Untertanen) war meistens ein von alters her zusammenhängender Komplex von Ländereien, der zwar selbständig bewirtschaftet wurde, aber der Verwaltung einer anderen Herrschaft untergeordnet war. Im Falle der Herrschaft Neuhaus finden sich die Güter Červená Lhota, Kardašova Řečice, Stráž nad Nežárkou und Žirovnice, bei denen es sich um ehemalige Herrschaften oder Teile von Herrschaften handelte, die von den Besitzern von Neuhaus hinzuerworben und der zentralen Herrschaft angegliedert worden waren. An der Spitze eines Gutes stand der Verwalter, der auf dem Gut (meistens in einem kleinen Schloss) lebte, die Buchhaltung führte, aber dem Neuhauser Hauptmann untergeordnet war.

dominium (Dominium)

So bezeichnet man einen Komplex von mehreren Herrschaften und Gütern, die das Vermögen einer Herrschaft bildeten und meistens zentral geleitet wurde. Wenn das Dominium einen territorial kompakten Komplex bildete, stand an der Spitze der Verwaltung nur ein Beamter, der in den Quellen meistens als Regent oder hlavní hejtman (Oberhauptmann) bezeichnet wurde, dem aber kein bürokratischer Apparat zur Verfügung stand. In der Praxis übte dieses Amt meist der Hauptmann von einer der Herrschaften aus. So stellten sich die Verhältnisse in Neuhaus unter den Herren von Neuhaus und den Slawatas bis 1691 dar, als sich fast das ganze Dominium an der Grenze Südböhmens und Südmährens befand. Unter den Tschernins von Chudenice änderte sich die Situation, weil Heřman Jakub, als er Neuhaus gewann, schon andere Herrschaften in anderen Teilen Böhmens besaß. Aus diesem Grund wurde die Verwaltung der Herrschaften und Güter von einer Zentralkanzlei ausgeübt, die in Prag angesiedelt war und die für die Kanzleien der einzelnen Herrschaften die Oberinstanz darstellte.

šlechtický dvůr (Adelshof)

Dies ist die Gruppe von Personen, die in einem Dienstverhältnis zum adligen Besitzer der Herrschaft und seiner Familie standen. In der tschechischen Historiographie – änlich wie in der deutschen – unterscheidet man das Hofpersonal im engeren Sinne, Personen, die sich um den Marstall, um den Alltagskomfort (Essen, Kleidung) und allgemein um den Adelshaushalt kümmerten. Diesem Hofpersonal im engeren Sinne stand ein Hofmeister vor. Dagegen kümmerte sich das Hofpersonal im weiteren Sinne um die Verwaltung der Wirtschaftsbetriebe in den Herrschaften und um alle ökonomischen Probleme.

Die Leitung der Verwaltung lag in Händen des Hauptmanns. Er nahm die führende Position im Verwaltungsapparat der obrigkeitlichen Kanzlei ein. Diese Wortverbindung bedeutet jedoch nicht, dass alle Amtsträger in einem einzigen Kanzleigebäude in der Schlossresidenz arbeiteten. Über einen eigenen Kanzleiraum verfügte der Neuhauser Bierschreiber, in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts arbeiteten auch der Hauptmann und der Schreiber in getrennten Räumlichkeiten. Auch die Verwalter der einzelnen Güter verfügten über eigene Büros in den Gutsbetrieben. Die Regelung des Alltagsbetriebs in der Residenz fiel in die Kompetenz des Burggrafen. Die Kompetenzen von Hauptmann und Burggraf waren in manchen Bereichen genau abgegrenzt, in manchen Bereichen deckten sie sich jedoch auch. Zur obrigkeitlichen Bürokratie gehörten des Weiteren vor allem die Schreiber, die sich um den Schriftverkehr des ihnen anvertrauten Wirtschaftsbetriebs kümmerten und die Buchhaltung führten. Es handelte sich vor allem um den Rentschreiber (Rentereiverwaltung), den Bierschreiber (Verwaltung der Brauerei), den Fischschreiber (Verwaltung der Teichwirtschaft) und den Kornschreiber (Verwaltung der Getreidewirtschaft). Vor der Mitte des 17. Jahrhunderts kamen zu ihnen in Neuhaus noch der Wirtschaftsschreiber (Verwaltung der Burgsiedlung) und Kontributionschreiber (Verwaltung der Kontribution) hinzu. Wenn der Herr in seiner ländlichen Residenz weilte, kam es zur „Osmose“ zwischen den beiden Teilen des Hofes. Wenn er sich aber – und im Falle der Besitzer der Herrschaft Neuhaus war das fast permanent der Fall – am Kaiserhof in Prag, Wien oder anderswo aufhielt, war das Hofpersonal im engeren Sinne bei ihm. Aufgrund dieser Mobilität engagierten sich die Angehörigen des „engeren Hofes“ im lokalen Machtsystem nicht. Ganz anders die Angehörigen des Verwaltungsapparats in Neuhaus, der obrigkeitlichen Bürokratie, die den „weiteren“ Hof bildete und permanent in der Nebenresidenz wirkte.

městská rada (Stadtrat)

Einem Stadtrat oblag die Verwaltung der obrigkeitlichen und königlichen Städte. Traditionell bestand er aus zwölf Personen, wobei jede von ihnen während vier Wochen im Jahr das Amt des Bürgermeisters ausübte. In Wirklichkeit umfasste ein Stadtrat noch weitere Personen; zu ihnen gehörten zwei und später drei Hauptmänner aus jeder der drei Neuhauser Vorstädte und seit 1583 auch sechs „Ältere“. Seit dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts wurde der Stadtrat von einem Primator geleitet, der zwar Mitglied des Stadtrates war, sein Amt jedoch mit niemandem teilte und es oft über einige Jahre ausübte. Die Stadt hatte eigene Amtsträger, unter ihnen der Stadtschreiber, der die städtischen Protokolle führte und sich um die Stadtkorrespondenz kümmerte, und meistens zwei Verwalter der Stadtrenten, die sich um die Verwaltung der Stadtbetriebe kümmerten und die Stadtrechnungen führten. Der Stadtrat traf sich zu seinen Sitzungen meistens zwei- bis dreimal pro Woche. Seine Kompetenzen betrafen sowohl die Stadtverwaltung, als auch die städtische Rechtsprechung.

Neben dem Adelshof und dem Stadtrat wirkten in Neuhaus (wie in anderen Residenzstädten) noch einige weitere Gruppierungen, vor allem die Zünfte, von Meistern und einem „Ältesten“ geleitet, und religiöse Bruderschaften.

Grundbegriffe der informellen Kommunikation

Der Begriff, der in der schriftlichen Kommunikation von Adligen und Bürgern in den böhmischen Ländern der frühen Neuzeit alle andere Kategorien der sozialen Verhältnisse umfasste und überwölbte, war dobré přátelství. Die Übersetzung in deutschsprachlichen Quellen aus Böhmen lautete gute Freundschaft. Die bisherigen Forschungen zeigen, dass das Anknüpfen und die Erhaltung der guten Freundschaft im Denken der Adligen und Nichtadligen eine zentrale Rolle spielte und das dieser Begriff mehrere Aspekte umfasste, namentlich die gegenseitige Anerkennung des guten Namens, der Ehre, des Prestiges und der Macht. Die gute Freundschaft konnte sich sowohl im Rahmen von blutsverwandtschaftlichen Verhältnissen, als auch im Umfeld erworbener Verwandtschaft entfalten:

Für blutsverwandtschaftliche Verhältnisse benutzte man die üblichen Begriffe – Bruder, Schwester, Vater, Mutter, ujec, strejna. Eine größere Variabilität herrschte unter den Bezeichnungen für erworbene Beziehungen, in der Sprache der Quellen nepříbuzný v krvy (nicht im Blut verwandt), die man im Denken der Gesellschaft in der frühen Neuzeit noch weiter teilte, in erworbene verwandtschaftliche und erworbene nichtverwandtschaftliche Beziehungen. Unter den erworbenen verwandtschaftlichen Beziehungen spielte die größte Rolle die Schwägerschaft (hergestellt durch Heirat) und die Patenschaft. Für die erworbenen nichtverwandtschaftlichen Beziehungen war die informelle Kommunikation von größter Bedeutung. Im Falle der Bruderschaft verweist die semantische Übereinstimmung mit der Bezeichnung für eine blutsverwandtschaftliche Beziehung darauf, dass es sich um ein enges und tiefes Verhältniss handelte, das zwischen sehr guten Bekannten entstand. Dafür spricht auch das in der moralisierenden Literatur und in manchen Ego-Quellen erwähnte Faktum, dass die Bruderschaft durch Zutrinken bestätigt werden sollte. Bruderschaft bezeichnete eine horizontale Beziehung, die zwischen zwei ständisch oder sonst gleichwertigen Personen geknüpft wurde (also unter Bürgern oder niederen Adeligen aber nicht zwischen Angehörigen verschiedener Gruppen). Eine weitere wichtige Beziehung bezeichnet der Begriff „Patron“. Im Gegensatz zur Bruderschaft ging es hierbei um eine vertikale Beziehung. Ein Schreiber benutzte diese Anrede für eine Person, die gesellschaftlich, ständisch, machtpolitisch über ihm stand. Der Begriff „Patron“ wurde in Böhmen erst seit dem Ende des 16. Jahrhunderts häufiger benutzt; im 17. Jahrhundert erschien er in der Korrespondenz schon regelmäßig. Das Wort „Klient“ war ein Spezifikum lateinisch geschriebener Texte; in den tschechischen Wortgebrauch (und vermutlich auch in den deutschen) wurde es in Böhmen nicht aufgenommen.

Der letzte Begriff, die Beziehungen bezeichnete, war „Nachbarschaft“. In den untersuchten Texten erscheint dieses Wort in zwei Bedeutungen, zum einen als Betzeichnung für die gemeinsame territoriale Herkunft (Landsmannschaft). Die andere Bedeutung bezeichnete die Besitzer von zwei benachbarten Lokalitäten, z. B. zweier Herrschaften mit gemeinsamen Grenzen oder in der unmittelbaren Nähe gelegen. Wie die Bruderschaft kann man auch die Nachbarschaft als eine horizontale Beziehung interpretieren.

Im Wortgebrauch standen die erwähnten Begriffe jedoch oft nebeneinander, wenn die Bezeichnung von einer der Beziehungen noch durch das Wort „Freund“ ergänzt wurde. Übliche Anreden lauteten „příteli a ujče“ (Freund und Vater), „příteli a kmotře“ (Freund und Pate), „příteli a bratře“ (Freund und Bruder), „příteli a sousede“ (Freund und Nachbar), „příteli a patrone“ (Freund und Patron). Oftmals wurden sowohl diese zusammengesetzten Anreden, als auch einfache Anreden (also Freund, Patron usw.) durch ein Adjektiv („gut“, „aufrichtig“, „treu“ usw.) weiter betont, wahrschenlich ohne determinierende Bedeutung.